Zum Weblog der STIPvisiten:
Tagebuch Texte
So können Sie spenden
12. August:
Es regnet...
14. August:
Es war die Weisseritz...
16. August:
Nun ist es doch die Elbe...
18. August:
Unermesslicher Schaden
19. August:
Es war die Müglitz...
20. August:
Aufräumen in Tharandt...
21. August:
Prüfen in Kleinzschachwitz
22./23. August:
Nach der Flut
25. August:
Spendenaktion Hand in Hand
15. September:
Benefizkonzert Trommeln für
Pauken und Trompeten
12. Februar 2003: Bilanz
Am Tag als der Regen kam
[auch als PDF (328 kb)]
März 2003:
Spenden-Dokumentation der
Bürgerstifdtung (als PDF 2MB!)
21. April 2003:
Schadensgebiet Müglitztal
Tagebuch Bilder
13. August 2002
14. August 2002
15. August 2002
16. August 2002
17. August 2002
18. August 2002
19. August 2002
20. August 2002
21. August 2002
22./23. Aug. 2002
15. September 2002
|
Die liebliche Müglitz
riss tobend ganze Häuser mit
Das Müglitztal gilt Kennern der Gegend als eine Perle - König Johann (der auf dem Reiterdenkmal vor der Semperoper) nannte es gar "das schönste Tal Sachsens". Kein Wunder, dass er viel Zeit auf Schloss Weesenstein verbachte! Dieses Müglitztal ist seit der Flut vom 13. August nicht mehr, was es einmal war: Nach einem Dammbruch bei Glashütte wurde aus der lieblichen Müglitz ein reißender Fluss, der mit ungestümer Gewalt durch das Tal schoss und dabei ganze Häuser mit sich riss, Straßen und Eisenbahn demolierte und binnen Stunden unendlich Unheil über das Tal brachte.
"Weesenstein ist nicht mehr!" lauteten die ersten Nachrichten, die aus dem kleinen Ort am Fuße des Schlosses nach Dresden drangen - glücklicherweise eine Übertreibung, wenn auch keine große: Hier hat die Müglitz Häuser komplett zerstört und dem Erdboden gleich gemacht, das beschauliche Örtchen auf unvorstellbare Weise aus der Ruhe gerissen.
Weesenstein war aber nicht der einzige Ort, dem die Müglitz Unheil brachte: Von Glashütte über Schlottwitz bis hinunter nach Dohna immer wieder das gleiche Bild: Die gerade frisch restaurierte Eisenbahnstrecke, die täglich Schulkinder und viele der nicht in Glashütte wohnenden Mitarbeiter der Glashütter Uhrmanufakturen transportiert sowie im Winter zentrale Zubringerfunktion ins Ski- und Wintersportgebiet um Altenberg erfüllt, ist praktisch nicht mehr existent: Brücken demoliert, Gleise unterspült und verbogen oder (was sich noch am ehesten beheben lässt) im Geröll und Schmuddel der Müglitz vergraben.
Unser Scout ist jemand, der enge Beziehungen zur Gegend hat und in den vergangenen Tagen an mehreren Stellen als Helfer tätig war. "Ich kann heute nicht mehr, mir tut alles weh!" hatte er gesagt und war froh, in der Funktion als sachkundiger Führer wenigstens mittelbar etwas tun zu können. Für uns hatte es den zusätzlichen Vorteil, eingeführt zu werden: Am Wochenende gab es, so unser Fahrer, nicht nur Helfer, sondern auch Gaffer - und die konnte man nun gar nicht gebrauchen.
In Dohna steht ein Arzt vor dem, was einmal seine gynäkologische Praxis war: Ein Rest von Mauer auf Geröll. Aus den Fluten der Müglitz,die sich schon wieder beruhigt haben und dennoch nicht gerade gemächlich gen Elbe strömen, ragen Steine heraus, die einmal Bestandteil anderer Mauern des Hauses waren. Wie unter Schock erzählt uns der Arzt, was auch die anderen Bewohner des Müglitztales so oder so ähnlich erlebt haben: Dass es ein ganz normaler Tag war, an dem es heftig regnete - sehr heftig. Dass die Bauarbeiter von der Autobahnbrücke, die hier gebaut wird, ihre Geräte ein wenig höher stellten. Dass keiner ahnte, was da wenig später auf sie zurollen sollte mit unvorstellbarer Wucht: Die Müglitz, die nach dem starken Regen im Erzgebirge sowieso schon mehr Wasser führte als sonst und die nach dem Dammbruch eines Rückhaltebeckens bei Glashütte total aus den Fugen geriet.
Die Praxisräume sind nicht die einzigen, die diese Wucht zu spüren bekamen: Der Kindergarten ein wenig stromab und ein Privathaus etwas weiter oberhalb bieten ebenfalls Bilder des Schreckens: Der Kindergarten platt wie eine Flunder, das Haus mittendrin abgeteilt.
Wie das meistens so ist in Tälern: Es gibt den Fluss, die Straße und die Bahn. Im Müglitztal gibt es über weite Strecken nur noch den Fluss - Straße und Bahn hat er sich geholt, sie überrollt, die Schienen ausgehebelt oder zugeröllt.
In Schlottwitz endet die Welt, auch noch eine Woche nach der Katastrophe. Die Müglitz hat hier auch Häuser zerstört, die gar nicht am Fluss liegen: Vor einer Brücke hatte sich zuerst ein Baum quer gelegt, dann taten mitgespülte Steine und Gestrüpp ein Übriges und verschlossen zum Teil den normalen Flusslauf. "Unser Glück!" sagt Franz Brand, Geschäftsführer der MBS Maschinenbau Schlottwitz: So blieb die allergrößte Wucht von den Betriebshallen fern. Die Wucht, nicht das Wasser: Er musste mit Mitarbeitern per Hubschrauber vom Dach einer Halle gerettet werden, die Flut kam für die Schlottwitzer unerwartet. Das Glück der MBS war das Schicksal derer, die talab links der Straße gebaut hatten: Hier bahnte die Müglitz, die sich sonst rechts am Hang entlang schleicht, sich ungestüm einen neuen Weg. Ohne Rücksicht auf Vorhandenes wollte der Fluss talabwärts und nahm Häuserecken mit, floss hier in ein Haus rein und gegenüber wieder heraus. Was blieb ist Schlamm und Geröll und eine Schneise der Verwüstung.
Die Schlottwitzer: Ohne Strom, ohne Telefon, ohne Wasser, abgeschnitten von der Außenwelt. "Keinen Katastrophentourismus!" fordern Handzettel an Straßenlaternen und Bäumen ein, statt dessen Hilfe. Aber auch ein großes Schild am Ortsausgang an der bergauf führenden Straße: "Danke allen Helfern! Die Schlottwitzer."
Hilfe gibt es auf vielerlei Art: Nachbarn untereinander, aber am Wochenende auch Leute aus Dresden und den nicht betroffenen höher gelegenen Orten, die nicht zuschauen wollten. Ebenfalls mehr als präsent sind THW, Feuerwehr, Bundeswehr und Polizisten: Sie packen, wenn nötig, mit an und helfen die stinkende braune Schlammbrühe aus den Kellern zu entfernen. Mühsam mit Eimern, anders geht es nicht. Irgendwann ist vor uns ein Privat-PKW aus Dresden - mit warmer Suppe und frischem Obst. Die Menschen rücken zusammen, und weil jedem Anfang ein Zauber inne wohnt, bricht sich bei allem Leid ungeheurer Optimismus Bahn: "Wir werden es schon schaffen!"
Ulrich van Stipriaan
|